Datum: 04.12.2023 | Aktuelle Projekte

LahnStar Limburg: Flexible Anpassung im laufenden Betrieb

Sie sind aus dem Limburger Stadtbild fast nicht mehr wegzudenken: Die charakteristischen Kleinbusse ergänzen seit dem 13. November 2021 den Nahverkehr in der hessischen Domstadt. 

Der LahnStar ist einer von insgesamt neun Services, die im Rahmen des RMV-Verbundprojekts "On-Demand-Mobilität für die Region Frankfurt/Rhein-Main" (OnDeMo-FRM) zwischen 2021 und 2022 in Betrieb gegangen sind. 

Das Besondere an OnDeMo-FRM ist, dass die Verkehre einem verbundübergreifenden Gesamtkonzept folgen. Neben einer einheitlichen Tarifsystematik, einem abgestimmten Auftritt und einer einheitlichen E-Auto-Flotte nutzen die Angebote eine einheitliche On-Demand-IT-Plattform, die von der Firma ioki bereitgestellt wird.

Das Projekt wird vom Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und der rms gemeinsam koordiniert und vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr sowie vom Land Hessen gefördert. Die Betreuung und Umsetzung erfolgt auf lokaler Ebene über die teilnehmenden Nahverkehrsorganisationen.

Flexibilität, die bei den Fahrgästen ankommt

Seit dem Start ist die Nachfrage nach dem LahnStar derart gestiegen, dass nicht mehr alle Fahrtanfragen erfüllt werden können. Gemeinsam haben die Stadt Limburg, die rms und das Softwareunternehmen daher nach Lösungen gesucht, wie man das Angebots steigern kann, ohne die Attraktivität für die Fahrgäste einzuschränken. Hier kommt ein großer Vorteil des On-Demand-Ansatzes gegenüber regulären Linienverkehren zum Tragen: Sie lassen sich flexibel an den Bedarf anpassen.

Im engen Austausch mit den lokalen Experten, die mit den gleichen Systemen arbeiten, und den Software-Experten von ioki wurde deutlich, dass es eine Vielzahl weiterer Fragestellungen zur Funktionsweise des zugrunde liegenden Algorithmus und damit zusammenhängend Logik und Plausibilität des Routings und Poolings gibt. Typische Beobachtungen: "Ein Fahrzeug fährt leer an mir vorbei", oder: "Wir buchen quasi gleichzeitig und trotzdem kommen zwei unterschiedliche Fahrzeuge." Warum?

Bedarf und Angebotsqualität verstehen und neue Ziele setzen

Darauf basierend haben sich die LahnStar-Experten zusammen mit dem RMV, den anderen lokalen Partnern und ioki auf ein Vorgehen verständigt, das vom gängigen zeitaufwendigen Verfahren abweicht: In einem ersten Schritt führten ioki und die OnDeMo-Experten in einem "Deep Dive" Workshop in die Funktionsweisen der Algorithmen ein, um ein besseres gemeinsames Verständnis für deren Arbeitsweise und Eingangsparameter zu schaffen. Dies versetzte die Partner überhaupt erst in die Lage, konkrete Qualitätsansprüche sowie tolerierbare Einbußen – z. B. in der Wartezeit – zu definieren und hat zwei weitere Aspekte bewusst gemacht: 

  • Die "Standard-Parametrierung" ist auf einen sehr hohen Service-Level ausgelegt, der ab einer gewissen Nachfrage die Effizienz begrenzt. 
  • Die nötigen Verbesserungen können nicht mit Feinjustierungen erreicht werden.

Ein hoher Qualitätsanspruch ist nicht grundsätzlich falsch und kann für ausgewählte On-Demand-Angebote auch passend sein. Was aber derzeit häufig fehlt, ist die "Übersetzung" der politischen Ziele in konkrete quantifizierbare Kenngrößen, und dieser wiederum in eine passende Parametrisierung des On-Demand-Verkehrs. Genau diese Übersetzung wurde mit dem gewählten Ansatz durchgeführt. Damit blieb aber noch die Herausforderung bestehen, die Effizienz der Verkehre zu erhöhen, ohne die Qualität für den Fahrgast signifikant zu verschlechtern. Daher hat ioki im zweiten Schritt auf Basis der gemeinsamen Diskussionen ein "Echtwelt-Szenario" unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Parameter-Settings entwickelt.

Test im Reallabor: "Kontrolliertes Ausprobieren"

In Absprache mit dem Softwareanbieter ioki erklärte sich das LahnStar-Team bereit, die Parameter im Live-Betrieb testweise anzupassen. Im Mittelpunkt standen die Überprüfung und Verbesserung der Angebotsquote, ohne dabei die subjektive Qualität des Services aus Fahrgastsicht merklich zu mindern. Die geänderten Parameter wurden in diesem Fall nicht modelliert oder simuliert, sondern direkt aus dem Betrieb und aus "echtem Kundenfeedback" gewonnen. Da sich das Gesamtvorhaben noch in der Pilotphase befindet, entschied man sich für das beschleunigte Vorgehen im Reallabor. Dazu wurden verschiedene Parameter wie die Wartezeit und Umwegezeit der drei LahnStar-Fahrzeuge angepasst.

Zum Testbeginn fanden täglich kurze Termine mit dem Softwareanbieter ioki und den Verantwortlichen aus Limburg statt. So konnte während der Live-Testung sichergestellt werden, dass die Auswirkungen auf die Fahrgäste gering blieben und im Falle von großen Defiziten sofort wieder auf die bisherigen Werte umgestellt werden konnte. Im Realbetrieb zeigte sich,

  • dass Fahrgäste eine größere zeitliche Abweichung zum gewünschten Fahrtantritt erhielten,
  • dass Verspätungen eintrafen, aber sich in Grenzen hielten,
  • dass geringfügig längere Fußwege in Kauf genommen werden mussten.

Alle Anpassungen bewegten sich im akzeptablen und erlaubten Rahmen. Von den Fahrgästen des LahnStars gingen keine negativen Rückmeldungen ein, dass sich das Angebot grundsätzlich verschlechtert habe.

Lahnstar Limburg Tabelle

Die wichtigsten Kennzahlen

Die nebenstehende Tabelle zeigt die Veränderungen der wichtigsten Kennzahlen im Test als Durchschnittswerte der Vergleichsmonate. März 2023 zeigt die Werte vor Anpassung der Eingangsparameter, Mai 2023 die Werte danach.

Die Veränderungen, insbesondere die Steigerung der Angebotsquote auf bis zu 98 Prozent und der durchschnittlichen Auslastung um 12 Prozent, wurde als äußerst zufriedenstellend eingestuft und beibehalten. Mit der erreichten höheren Auslastung können ohne zusätzliche Fahrzeugkapazitäten 100 bis 150 Kunden pro Woche mehr befördert werden. Die nun "schlechteren" Qualitätskennzahlen bspw. der Pünktlichkeit werden kaum oder ggf. gar nicht wahrgenommen.

Fazit

Das Beispiel in Limburg hat gezeigt, dass der Vorteil der On-Demand-Verkehre nicht nur in der Flexibilität für den Fahrgast, sondern auch für die ausführenden Verkehrsunternehmen liegt. Eine intensive und konstruktive Zusammenarbeit wie in diesem Fall zwischen den lokalen Partnern und den Software-Experten bei ioki ermöglichte erst die genaue Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des Algorithmus – das ist nicht die Regel und wird nur in ausgewiesenen Fällen angeboten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war der Verbundcharakter der On-Demand-Angebote im RMV mit einer einheitlichen Hintergrundsoftware und einheitlichen Kenngrößen, die den Austausch in einer großen Expertenrunde ermöglichte!

Dank der Bereitschaft des Softwareunternehmens ioki, den Prozess ergebnisoffen zu ermöglichen und dem Vorgehen der Simulation und punktuellen Parameteranpassungen abzuweichen, konnte die Effizienz des On-Demand-Angebotes erheblich verbessert werden. Der Mut des Partners Limburg wurde belohnt, und das "kontrollierte Ausprobieren" hat in vielerlei Hinsicht einen Mehrwert gebracht:

  • Schnellere und vor allem belastbare ("echte Welt") Resultate
  • Learnings zum Kundenverhalten, die man weder mit Simulationen noch mit Befragungen erreicht hätte: dass etwa die Nachfrage bei der Qualitätsreduktion nicht signifikant sinkt bzw. die Fahrgäste die Abnahme der Qualität möglicherweise gar nicht wahrnehmen!

Die in Limburg erzielten Ergebnisse sind jedoch nicht repräsentativ und können nicht verallgemeinert auf andere On-Demand-Verkehre angewendet werden. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass sich Betreiber und Aufgabenträger im Idealfall bereits im Vorfeld durch Simulationen intensiver mit konkreten Kennzahlen, tolerierbaren Einschränkungen und deren Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit auseinandersetzen müssen. So kann es gelingen, die hohen Anforderungen an die Qualität bei On-Demand-Verkehren und die wirtschaftlichen Anforderungen in Einklang zu bringen.

In jedem Fall ist der vorgestellte Versuch ein maßgeblicher Schritt, um On-Demand-Angebote nachhaltig zu finanzieren. So wollen im Rahmen des OnDeMo-FRM Projekts weitere Partner ihre Kennzahlen überprüfen und so auf ihre individuell gesetzten Ziele weiter einzuwirken.

Autoren: Hicham Azzou, Nasser Shalmanassar (Stadtlinienverkehr Limburg a. d. Lahn); Vincent Rodmann, Sven Kohoutek (rms)

Bild © Stadt Limburg

Dr. Sven Kohoutek

Ihr Ansprechpartner

Dr.-Ing. Sven Kohoutek

Geschäftsbereichsleiter Innovations- und Vertriebsmanagement

Fon: +49 69 27307-350
skohoutek@rms-consult.de

nach oben